Endlich! Auf diesen Tag haben wir alle 3 und jeder auf ganz intime Weise sein Leben lang gewartet. In den Urlaub zu starten ist immer ein Ziel, auf das es sich hinzuarbeiten lohnt. Hier jedoch spreche ich von der im allgemeinen Sprachgebrauch geläufigen "Reise des Lebens".
Als Bluesmusiker braucht man eine gewisse Reife, um solch eine Erfahrung zu machen. Dazu gehört jahrelanges Spielen mit verschiedenen Musikern, Live-Erfahrungen, das Beherrschen des Instruments und die Grenzen des eigene Könnens.
Hinzu kommt das Interesse an den historischen Gesichtspunkten HINTER dem Blues. Ursprung, Deutung, Zukunft - alles Elemente die ihren starken Reiz haben und die einen Sog bilden können. Das Endresultat ist bei uns der Anfang dieser Reise in das Land, wo der Blues begann.
Auf dieser Weltkarte kann man gut erkennen, wo das "verdammte kleine Nest" (Zitat: Johnny Ketzel) liegt, aus dem Lothar, Henk und ich kommen: Münster, Westfalen.
Münster Flughafen FMO war morgens um 6 der Abflugort. Zwischenstopp in Frankfurt, 3 1/2 Stunden Aufenthalt. Wir sind dann mit der S-Bahn zum Hbf Frankfurt gefahren - 15 Minuten Fahrtdauer und haben dort in gehfreundlicher Nähe bei einer Freundin im Hinterhofgarten, der gleich neben einem Vereinshaus von einer anrüchig vermuteten Motorradgang liegt, Asyl gefunden. Es bleibt nicht aus: irgendeiner ist immer an den motorisierten Zweirädern interessiert. Henk ist der begeisterungsfähigste und er hat auch gleich ein Foto mit seiner neuen Digicam geknipst.
Nach so wenig aufregendem Getue wurde es ernst. Zurück zum Flughafen. Um 11 Uhr war Bording angesagt. Die zugewiesenen Plätze wurden sitzendeweise in Beschlag genommen.
Es wurde uns übrigens erspart zu dritt nebeneinander zu sitzen. Meine Vermutung ist ja die, dass aus rein physikalischen Gesetzmäßigkeiten die Umverteilung von Gewichtsressourcen in einem Flugzeug, welches sich fliegenderweise in der Luft befindet, von grundlegender Bedeutung ist, was das sichere Ankommen am Zielort angeht. Will heißen: eine durch uns evtl. verursachte Schräglage der Flugmaschiene wurde anhand der Sitznummern aus Sicherheitsgründen gleich vorweg vermieden.
War auch nicht schlimm, Lothar hat eh nur geschlafen und war daher als gleichwertiger Gesprächspartner ausgeschaltet.
Nach 9 1/2 Stunden Flugzeit erreichten wir Charlotte in North Carolina. Von dort ging es dann bald 2 Stunden weiter nach New Orleans. Wir waren also insgesamt seit unserem Start in Münster sage und schreibe um die 16 Stunden unterwegs.
Aus Gründen der dokumentarischen Vollständigkeit hier die gefilmte Landung aus dem Innenraum unseres Fliegers: New Orleans, Louisiana.
Für die lange Liste all der Orte, die wir aufsuchen wollten, war ein Mietwagen mit dem gewissen Komfort sehr erwünscht: Platz genug fürs Gepäck & die Gitarrenkoffer, elektrisch verstellbare Sitze, Aircondition, mittig angelegte Kühlbox und das Vertrauen in die Automatik. Ich sag es gleich: wir wurden nicht enttäuscht.
Nachdem wir den Wagen besorgt hatten fuhren wir gleich mit Hilfe eines TomTom-Navigeräts Richtung India-House, die Unterkunft für unsere ersten 3 Nächte.
124 South Lopez Street, New Orleans, LA
http://www.indiahousehostel.com/
Das Hostel liegt auf einer Rangliste auf Platz 9 aller beliebtesten Hotels/Unterkünfte in den USA. Für Verwöhnte sei gesagt: Es ist KEIN 5 Sterne-Hotel.
Was das India-House aber zu bieten hat ist die familiäre Grundstruktur, das gewisse Gefühl angekommen zu sein. Im Haus tümmeln sich Menschen aller Altersgruppen aus allen Ecken der Welt.
Man bekommt alles was man braucht:
- Kaffee am Morgen zum Abwinken für Lau - mit Kaffeeweißer, einem Pulver was ohne Milch! hergestellt wird. Diese Info bekommt nur, wer seine Neugier aufs Kleingedruckte ausweitet. Die allgemein übliche Hitze macht den Gebrauch von echten Milchprodukten zu risikoreich.
- Komfortable Betten und übersichtliche Raumnutzungsfläche. Je Nach Zimmerwahl sanitäre Anlagen auf dem Zimmer oder in separaten Räumen im Hof.
- Swimmingpool! Mist, Badehosen vergessen, so durften nur die Unterschenkel mit glücklichen Füßen das kühlende Nass besuchen.
- TV-Raum mit Riesen-Bildschirm und augenunfreundlichem Gelbstich. Wer`s braucht.
- die Küche durfte frei genutzt werden.
- es gab morgens und abends die Möglichkeit vor Ort gegen kleine Dollar essen zu sich zu nehmen. Für den Start in den Tag natürlich klasse.
Eine kleine Geschichte am Rande: Wir hatten im Januar 2011 unser 4-Bett-Zimmer vorbestellt. War alles kein Problem, klappte reibungslos. Vort Ort erfuhren wir, dass der Zeitplan, was baulische Umsetzungen angeht, in einem gut geführtem Zeitfenster verläuft - denn unser Haus! mitsamt dem Zimmer wurde erst 1 Woche vor unserer Ankunft fertig gestellt. Glück gehabt.
Die ersten 3 Tagen hatten wir das Glück im India House Freunde aus Münster zu haben. Burkhard und seine Freundin sind schon richtig alte New Orleans Hasen. Es war für uns eine große Hilfe auf deren Erfahrungen und Hinweise zurückgreifen zu können. Sie haben uns auch gleich abends ins Nachtleben der Stadt gezerrt - und das war die Wucht! Dazu später hier mehr.
Im Laufe der Jahre entstand im Haus und drum herum diese äußerst bunt gestalteten Dekorierungen. In jedem Winkel gab es was zu entdecken.
Ich darf an dieser Stelle nicht vergessen euch den wahren Chef im India House vorzustellen. Diese Katze ist das gewählte Oberhaupt vom Haus. Sie hat nicht einmal einen Namen. Aber sie ist zu 100% weisungsbefugt und alle in Frage kommenden Entscheidungen werden durch ihren Pfotenschlag besiegelt oder abgelehnt. Glaubst du nicht ? Fahr hin, überzeug dich selbst.
Der Abend in New Orleans verlief nicht nur in etwa so, sondern genau so:
Wir fuhren mit einer der nostalgisch aussehenden Tram in die Innenstadt. Den Jetlag haben wir ziemlich schnell überstanden. Das ist ja oft beim Hinflug so gut wie kein Übel.
New Orleans ist auch eine sehr touristische Stadt und dementsprechend auf die Wünsche aller Zugereisten eingestellt. Voodoo, Pink & Punk, der Tod an sich und die Musik - diese Mischung aus berechenbarem Klimbim will man ja auch mal sehen. Doch ist der ganze Hokuspokus, der damit betrieben wird, schnell durchschaut. Wie in jeder Stadt gibt es viel zu sehen, aber das Sehenswerte findet man abseits dem Klischee.
Unsere erste Anlaufstelle war das "d.b.a." 618 Frenchmen Street, New Orleans, LA. 70116.
Dort findet man die größte Ansammlung von Bieren aus aller Welt, sortiert nach Ländern. Selbst das Bier aus Münster, das "Pinkus" Bier kann man dort ordern.
Aber vor allem ist es einer der heissesten LIVE-MUSIC Kneipen in New Orleans. Stevie Wonder, David "Honeyboy" Edwards, Jimmy Buffett, Clarence "Gatemouth" Brown - um nur ein paar zu nennen.
An dieser Stelle der wirklich ernst gemeinte Hinweis, die berühmte Bourbon Street abends zu meiden - sie ist eine einzige klebrige Schmuddelmeile und nur für die gedacht, die genau das anziehend finden. Selbst bei Tageslicht ist diese Strasse ein Ort mit starken Fluchtreflexen.
Aber das "d.b.a." liegt im historischen Teil der Stadt, im Faubourg Marigny.
Wir hatten das Glück dort John Boutte zu sehen. Muss man ihn kennen ? Aber JAAAAAAAA!! New Orleans hat seine eigene TV-Serie die "Tremè" heisst und in der es um das (Über-)leben von einigen Bewohnern der Stadt nach dem Wirbelsturm Katrina 2005 geht. John schrieb dazu den Titelsong. Unten der Trailer zur TV-Serie. Ein Muss wenn man nach New Orleans reisen will. Übrigens gibt es bald die 2 Staffel dazu.
John Boutte - http://www.johnboutte.com/
Mia & Mario im d.b.a. - im Hintergrund John Boutte.
Das Nachtleben auf den Strassen war voller Eindrücke und Energie. An jeder Ecke ein kleines Event und nichts davon geplant. Leuchtende Motorräder am Strassenrand - der Hit in den USA und bei uns noch kaum zu sehen.
Diese Band swingte - Musik aus den 30er und 40er Jahren, dazu eine Stepptänzerin. Das war auf sehr hohem Niveau. Gut, das wir Videos gemacht haben, ansonsten würde man uns das nicht so recht glauben können. Seht und hört selbst:
Das "House of Blues" war nur in den Anfängen mal ein reiner Blues-Laden, der dann aber schnell zu einer Kette wurde mit allen denkbaren Musikrichtungen. Also aufpassen, der Name ist nicht gleich Programm.
Das "BMC" ist der Balcony Music Club - ein ebenso toller Ort um Live Musik zu hören. 1331 Decatur St New Orleans, LA70116
Jazz, Blues, Swing - alles dabei und er wird noch in den nächsten 2 Tagen eine Rolle spielen. Dazu aber später mehr. Wir haben dort Jayna Morgan gesehen. Man kann sie auch oben in dem Video sehen.
Als ich 2003 mal wieder in NYC war, hatte ich zum ersten mal Kontakt mit den sog. Strassen-Poeten, die gegen ein geringes Entgeld auf die Person zugeschnittene Gedichte verfassten. Dazu hauten sie auf antiken Schreibmaschinen herum. Das hatte mich damals fasziniert, jedoch fehlte mir dazu der Mut mich auf diese kleine Kunstform einzulassen. Diesmal wollte ich diese Gelegenheit nicht vorbei ziehen lassen.
Josh und ich machten ein kurzes intimes Interview über mein Leben. Ich versorgte ihn stockend mit Infos. Es ist nämlich gar nicht so leicht, banales und interessantes von sich selbst getrennt und mit der richtigen Deutung zu erzählen. Josh machte fleissig Notizen, fragte gezielt nach und bat mich in einer halben Stunde wieder zu kommen. Klar, was ich dann auch machte.
Nach der besagten 1/2 Stunde bekam ich dieses Gedicht von Josh. Ich lies es mir vorlesen.
Auch wenn ich diese Kunst, mit der er Wörter über das Wesentliche in ein scheinbar tapsiges Hin und Her in ein Satzgefüge dichtete, so muss ich gestehen, das ich mich weniger am Inhalt erfreute, als mehr an der Dynamik des Textes, der Melodie und dem Gefühl, letztendlich so etwas wie einen Tom-Waits-Song in der Hand zu halten. Und mal ehrlich: da setzt sich jemand hin und hämmert was in eine alte Schreibmaschine - das allein ist doch Nostalgie die ihren Preis haben darf! Aber genug des bodenlosen Geschwätzes. Lies selbst.
Irgendwann kam der Moment der Heimreise in der Tram - also ab ins India House.
Aber ich will euch nicht den Gesichtsausdruck von Henk & Lothar vorenthalten.
Müde, geschafft, benebelt und berauscht vom New Orleans-Fieber und am Ende glücklich endlich am Anfang einer tollen Reise zu sein.
Burkhard und Mia waren auch erledigt. Aber durch ihre Qualitäten als Reiseführer konnten wir solch einen vollen Abend überhaupt erst erleben.